Andreas Günther wurde in Dresden geboren, studierte Klassische Archäologie und Griechisch in Halle und Berlin, war Bereichsleiter für Internationale Politik der Bundesgeschäftsstelle der Partei DIE LINKE und ist seit 2018 Direktor des New Yorker Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Was macht ihr hier eigentlich?

„Wir sind hier für die USA, Kanada und die Vereinten Nationen zuständig. Bei der UNO ist für uns die Klimagerechtigkeit ein neuer besonderer Schwerpunkt. Außerdem haben wir z.B. gemeinsam mit dem Global Policy Forum (https://www.globalpolicy.org/de) zum Einfluss von Unternehmen auf die Vereinten Nationen gearbeitet. Der Hintergrund ist, dass wegen der nicht ausreichenden staatlichen Finanzierung durch die Mitgliedsstaaten Private einspringen und dann aber natürlich die Agenda mitbestimmen. Auch indigene Themen sind uns wichtig. So haben wir gemeinsam mit Madre (https://www.madre.org) dafür gesorgt, dass indigene Frauen bei der UN gehört werden. Uns ist wichtig, Basisbewegungen und UN-Prozesse zu verbinden.

In den USA und Kanada arbeiten wir mit der politischen Grundströmung der uns nahestehenden Partei DIE LINKE zusammen. Das sind natürlich mehrere. So wie bei den deutschen Linken auch. In Ländern mit Mehrheitswahlrecht, wie den USA und Kanada ist es für die (im positiven Sinne) radikale Linke nicht so einfach, sich stabil und einflussreich zu organisieren. In der Demokratischen Partei der USA sind Positionen vertreten, die in Deutschland von der CDU bis zur Linken reichen würden. Für uns interessante Politiker*innen sind hier natürlich die New Yorker Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez als die „Bannerträgerin“ oder Bernie Sanders, der selbst nicht zur Demokratischen Partei gehört. Daneben gibt es hier verschieden Organisationen, Gruppen und Parteien, zum Beispiel die Democratic Socialists of Amerika (https://www.dsausa.org/) oder die Workers Family Party, die aufgrund von Besonderheiten des amerikanischen Wahlrechts mit anderen Parteien kooperieren.“

Was denken die Amerikaner*innen über den Sozialismus?

„In der Vergangenheit war das für viele US-Amerikaner*innen nur ein Kampfbegriff. Aber hier hat sich in den letzten zehn Jahren, seit Occupy Wall Street und den Bernie-Sanders-Kampagnen etwas geändert. Aber um zu verstehen, woher die Ablehnung kommt, muss man in die Geschichte der USA schauen. Das Land ist aus Einwanderung und Kolonialisierung und einer Rebellion gegen den britischen Obrigkeitsstaat entstanden und sollte die Selbstorganisation der Siedler sein. Es war das Selbstverständnis, wenn man das generalisieren darf, dass jeder seines Glückes Schmied ist. Das bedeutet, dass jeder selbst für seine Absicherung sorgen soll. Für Leute die Unglück haben, gibt es private Wohltätigkeit. Wenn sie aber selbst schuld sind, dann haben sie es eben auch nicht besser verdient. Der Gedanke der Solidarität und der sozialen Sicherheit wird hier eher mit obrigkeitsstaatlichem Denken verbunden. Und dagegen sind US-Amerikaner*innen grundsätzlich. Die Frage, wieviel die Union, die Bundesregierung überhaupt tun darf, ob sie z.B eigene Steuern erheben darf, ist von Anfang an eine Streitfrage gewesen. Es hat zwei Anläufe gebraucht, um eine Verfassung zu schreiben. Es gab zunächst die Konföderationsartikel der nordamerikanischen Bundesstaaten, nach denen der Kongress das einzige Bundesorgan war. Erst die Erfahrung, dass das so nicht funktioniert, führte dazu, dass man Bundesorgane, wie Präsidentschaft, also eine Regierung, und ein Bundesparlament geschaffen hat. Aber es hat bis weit in das 19. Jahrhundert gedauert, das die Bundesregierung tatsächlich auch weitergehende Aufgaben übernommen hat. Selbst Infrastrukturprogramme wie der Ausbau von Straßen waren lange umstritten. Die Eisenbahn z.B., ist privat entwickelt worden.

Und immer noch sagen einige, Washington soll sich nur um Verteidigung und Zölle kümmern. In diesem Sinne wird „Sozialismus“ als Obrigkeitsstaat verstanden. Und das wäre eine Beschränkung der Freiheit. Deshalb gab es das für uns völlig unverständliche Aufbegehren gegen „Obamacare“, also den Versuch des früheren Präsidenten eine Art von allgemeiner Krankenversicherung einzuführen.“

Du hast hier die Trump-Zeit erlebt und nun Biden. Wie ist es mit seiner Regierung? 

„Man ist ja schon dankbar, dass es überhaupt wieder eine normal funktionierende Regierung gibt. Und dass nicht jeden Tag eine andere Sau durchs Dorf getrieben wird. Auch, dass es wieder eine gewisse Schamgrenze gibt, was Korruption und die Verquickung von öffentlichen und privaten Interessen betrifft, ist gut. Diese Verquickung hat es zwar immer gegeben, aber so schamlos wie in der Trump-Zeit ist das selten passiert. Auch die Tatsache, dass erstmals eine Frau, und zwar eine nicht weiße Frau als Vizepräsidentin amtiert, ist ein wichtiges Symbol dieser Präsidentschaft. Der Start der Biden-Regierung ist allerdings auch mit einem historisch einmaligen Ereignis verbunden, nämlich dem Angriff auf den Kongress am 6. Januar 2021 und die Infragestellung der Rechtmäßigkeit der Wahlen. Diese Infragestellung wirkt auch heute noch nach. Die Mehrheit der republikanischen Wähler*innen glaubt weiterhin, dass Joe Biden nicht rechtmäßig im Amt ist. Und für 2024 lässt das Schlimmes befürchten. Die Republikaner versuchen zudem das Wahlrecht in den Staaten wo sie das können, derart zu manipulieren, dass sie auch ohne eine verfassungsgemäße Mehrheit wieder den Präsidenten stellen können. Was die Biden-Administration betrifft, glaube ich nicht, dass es ihr an gutem Willen mangelt, sondern dass sie durch die Rechten in ihrer eigenen Partei und die völlige Destruktionspolitik der Republikaner an vielem gehindert wird, was positiv wäre, z.B. Klima- und Sozialinvestitionen. Das bereits verabschiedete Infrastrukturpaket ist trotzdem beispiellos. Das wird gern vergessen. Außenpolitisch wirkt der ehemalige Präsident weiter nach. Trotz der Rückkehr der USA in die internationalen Organisationen ist z.B. das Auftreten gegenüber China nicht maßgeblich anders. Aber dort gibt es eben auch objektive Interessengegensätze. Und auch die Biden-Administration vertritt die Interessen des amerikanischen Kapitalismus.“ 

Wie hat sich das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA entwickelt, zum Beispiel mit Blick auf die Russlandpolitik?

„Auch hier gab es zunächst eine Erleichterung und Entspannung. Andererseits mussten Deutschland und Europa in den Trump-Jahren lernen, in vielem ohne die USA zurechtzukommen, was vielleicht gar nicht so schlecht ist. Eine bedingungslose Gefolgschaft hat es ja schon seit längerer Zeit nicht mehr gegeben, zum Beispiel beim Irak-Krieg. Ich finde es positiv, dass sich die neue Bundesregierung daran erinnert, dass Deutschland der Anwalt von Entspannungspolitik sein kann. Ich glaube, dass das in den Kreisen, die in den USA die Außenpolitik bestimmen, auch verstanden, wenn auch nicht unbedingt geschätzt, wird.“

Die Progressiven innerhalb der Demokraten sind stärker geworden. Wie stellt sich das in der US-Politik dar?

„Paradox. Die Linken sind stärker geworden, das hat aber auch die Spreizung der Demokratischen Partei vergrößert. Letzten Endes, und wir haben das bei den Verhandlungen über Joe Biden Vorschläge für mehr Investitionen für Soziales und Klima gesehen, haben die zwei „moderaten“ Senator*innen Joe Manchin und Kyrsten Sinema immer noch die Macht, die Maßnahmen, die das Repräsentantenhaus mit seiner stärkeren progressiven Ausrichtung beschließt, zu verhindern. Die neue Stärke zahlt sich noch nicht in politischer Münze aus. Ein Grund ist die starke Rolle, die die Verfassung dem Senat mit seiner Überrepräsentierung von kleinen Bundesstaaten zugesteht. Das führt auch zu einer Verzerrung der Mehrheitsverhältnisse im Land.“ 

Kommt Donald Trump zurück?

„Da ist die Glaskugel noch sehr verschwommen. Wenn er antreten will, dann wird es die Republikanische Partei in ihrer Verkommenheit nicht schaffen, das zu verhindern. Meine Hoffnung ist aber, dass das erneut zu einer Mobilisierung der Anti-Trump-Wählerinnen führen würde. Dadurch könnte ein Demokratischer Kandidat oder eine Kandidatin, wer auch immer das sein wird, gewählt werden. Aber diese hohe Hypothek wurde bereits einmal aufgenommen. Ob das noch einmal gelingt?“