Qian Julie Wang macht auf den lange ignorierten antiasiatischen Rassismus in den USA aufmerksam

Wie­der ist es pas­siert. Vor weni­gen Tagen klag­te die Staats­an­walt­schaft in Man­hat­tan einen 28-Jäh­ri­gen an, der sie­ben asia­ti­sche US-Ame­ri­ka­ne­rin­nen aus Hass ange­grif­fen hat­te. Vor eini­gen Wochen wur­de die 35-jäh­ri­ge Chris­ti­na Yuna Lee mit­ten in Chi­na­town getö­tet. Als ich zum Jah­res­wech­sel für »nd« über den Amts­an­tritt des neu­en Bür­ger­meis­ters Eric Adams und des­sen Streit mit den Lin­ken in sei­nem Stadt­rat aus New York berich­te­te, wur­de die 40-jäh­ri­ge Michel­le Alys­sa Go vor eine U-Bahn gesto­ßen. Poli­zei und Staats­an­walt­schaft woll­ten prü­fen, ob sie getö­tet wur­de, weil sie Asia­tin war. All die­se Vor­fäl­le bil­den eine lan­ge Rei­he, und ihre Anzahl nimmt zu. Ich habe mich gefragt, ob das mit der Rhe­to­rik des frü­he­ren Prä­si­den­ten Donald Trump über das angeb­lich »chi­ne­si­sche Virus« zusammenhängt.

»Vor­ur­tei­le, Belei­di­gun­gen und Hass gegen­über der asia­ti­schen Gemein­schaft in den USA gab es zwar schon zuvor«, erzähl­te mir die New Yor­ke­rin Qian Julie Wang. »Aber er hat Gren­zen ver­scho­ben. Und wenn der Prä­si­dent so redet, war­um soll­te das dann ein Fünft­kläss­ler gegen­über sei­nen Klas­sen­ka­me­ra­den nicht auch tun? Oder ein­fach jemand auf der Stra­ße, gegen­über jeman­dem, der vor­bei­geht?« Wang, deren Buch »Beau­ti­ful Coun­try« (»Schö­nes Land«) ich gele­sen hat­te, erzähl­te mir, dass es in den USA lan­ge Zeit hieß, dass Asia­tin­nen und Asia­ten, anders als Schwar­ze, kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung erfah­ren wür­den, dass sie den glei­chen Weg gehen könn­ten wie Wei­ße. So sei es gelun­gen, einen Keil zwi­schen die Com­mu­ni­tys zu trei­ben. Dabei gäbe es bei allen Unter­schie­den vie­les, was ähn­lich ist. Unter­drü­ckung, Aus­beu­tung, struk­tu­rel­le Benach­tei­li­gung. Wang spricht vom Trau­ma einer Generation.

1942, wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs, ließ Prä­si­dent Fran­k­lin D. Roo­se­velt 120 000 Men­schen mit japa­ni­schen Wur­zeln in Lagern inter­nie­ren. Die meis­ten von ihnen leb­ten damals bereits in zwei­ter oder drit­ter Genera­ti­on im Land. Die Angst vor der Wie­der­ho­lung einer sol­chen – letzt­lich ras­sis­ti­schen – Poli­tik sitzt tief.

Wangs Buch han­delt vor­der­grün­dig von der Kind­heit der klei­nen Qian Julie. Sie folg­te als Sie­ben­jäh­ri­ge mit ihrer Mut­ter dem Vater in die USA. Gebo­ren wur­de sie in der Stadt Shi­jiazhuang in der Volks­re­pu­blik Chi­na. Da die Fami­lie kei­nen gül­ti­gen Auf­ent­halts­sta­tus in New York hat­te, leb­ten sie als »Ille­ga­le«, immer in der Angst vor Ent­de­ckung und Abschie­bung. Die Mut­ter wur­de in einem Sweat­shop aus­ge­beu­tet, Qian Julie ging hung­rig zur Schu­le. Und als wäre das nicht schlimm genug, war die Autorin von klein auf antiasia­ti­schem Ras­sis­mus ausgesetzt.

Die Wahl Trumps im Jahr 2016 war für sie der letz­te Anstoß für ihr Buch. Kurz zuvor wur­de Qian Julie Wang end­lich US-ame­ri­ka­ni­sche Staats­bür­ge­rin. Sie fand, es sei jetzt ihre Pflicht, auf­zu­ste­hen und zu reden. Für all jene, die von die­sem Ras­sis­ten ver­leum­det und ver­ächt­lich gemacht werden.

Der Gedan­ke, ihre Geschich­te auf­zu­schrei­ben, war aber schon viel frü­her in ihr gereift. Als sie nach Ame­ri­ka kam, woll­te sie so schnell wie mög­lich Eng­lisch ler­nen. Nicht nur, weil es im All­ge­mei­nen Vor­ur­tei­le gegen­über Men­schen gibt, die die Lan­des­spra­che nicht gut beherr­schen. Für ihre Fami­lie war es zudem ein ech­tes Risi­ko auf­zu­fal­len, und sie woll­te sie nicht gefähr­den. Des­halb ging das jun­ge Mäd­chen häu­fig in Biblio­the­ken, las viel und lern­te so Eng­lisch. Sie fühl­te sich in der Umge­bung von Büchern sicher und gebor­gen. Aber Men­schen wie sie – aus Asi­en, aus Chi­na, »undo­ku­men­tier­te Migran­ten« – spiel­ten in den Erzäh­lun­gen kei­ne Rol­le. So träum­te sie davon, selbst über ihre Geschich­te zu schrei­ben. Damit spä­ter chi­ne­si­sche Mäd­chen wie sie, die dies lesen wür­den, sähen, dass mit ihnen alles in Ord­nung ist.

Sie nennt ihr Buch »Beau­ti­ful Coun­try«. Der Titel ent­spricht einem Namen für Ame­ri­ka im Chi­ne­si­schen. Aber ihre neue Hei­mat war alles ande­re als schön. Als sie auf dem Weg zur Arbeit – sie ist heu­te erfolg­rei­che Anwäl­tin – in der New Yor­ker U-Bahn auf ihrem Tele­fon ihre Erin­ne­run­gen nie­der­schrieb, begann sie zunächst mit den schö­nen Din­gen. Den Büchern in den Biblio­the­ken, wie sie ihr Kätz­chen bekam, wie es war, bestimm­te Gerich­te zum ers­ten Mal zu schme­cken. Aber selbst das war mit Trau­rig­keit ver­bun­den. Armut und Angst über­schat­te­ten ihre Kind­heit. Und es gab Tage, an denen sie in der U-Bahn zu wei­nen begann. »Manch­mal habe ich mehr geweint als geschrie­ben. Das tat weh. Aber dann war es draußen.«

Sie hat alles ein­fach run­ter­ge­schrie­ben und dach­te nicht, dass es jeman­den inter­es­sie­ren wür­de. Plötz­lich waren es 300 Sei­ten. Eine Freun­din über­re­de­te sie, den Text an Ver­la­ge zu schi­cken. Ihr Buch wur­de im ver­gan­ge­nen Herbst ein »New York Times«-Bestseller. Die Autorin wird von Medi­en und zu Ver­an­stal­tun­gen ein­ge­la­den. Der frü­he­re Prä­si­dent Barack Oba­ma emp­fahl »Beau­ti­ful Coun­try« als eines sei­ner Lieb­lings­bü­cher des ver­gan­ge­nen Jah­res, obwohl Wang ihn schon auf der drit­ten Sei­te für sei­ne Abschie­be­po­li­tik kri­ti­siert hat­te. Aber auch als erfolg­rei­che Autorin und Anwäl­tin wird sie mit ras­sis­ti­schen Vor­ur­tei­len konfrontiert.

»Heu­te war eine die­ser Buch­vor­stel­lun­gen, vor denen mich Autorin­nen und Autoren, die nicht weiß sind, schon früh warn­ten«, begann sie einen Bei­trag auf Twit­ter. Sie war wütend und ver­letzt, das spür­te man sofort. »Trotz ein­deu­ti­ger Hin­wei­se auf mei­ner Web­site und von mei­nem Ver­lag, wie mein Name aus­ge­spro­chen wird, haben sie es nicht geschafft. Die Mode­ra­to­rin ver­such­te es auf drei ver­schie­de­ne Arten (Quinn, Kwang, Kian).«

Bei der Buch­vor­stel­lung, die Wang so trau­rig mach­te, war es nicht bei der fal­schen Aus­spra­che geblie­ben. Unge­fragt teil­ten ihr bei der Signier­stun­de Lese­rin­nen mit, dass ihre Mani­kü­re von Asia­tin­nen gemacht wür­de oder dass ihre Söh­ne mit asia­ti­schen Frau­en zusam­men sei­en. Die Krö­nung war aber die Begeg­nung mit einer Frau, die ihr sag­te, dass sie gar kein Inter­es­se dar­an habe, ihr Buch zu lesen. Sie hat tat­säch­lich die gan­ze Zeit ange­stan­den, nur um zu fra­gen: »Was habt ihr Ille­ga­len zu meckern? War­um beschwert ihr euch immer über Ame­ri­ka? Ihr habt doch Glück, dass ihr hier sein dürft.«

Ich habe sie gefragt, war­um sie die­ses Erleb­nis öffent­lich gemacht hat. »Alles, was ich dort beschrei­be, ist mir bereits zuvor pas­siert, zum Bei­spiel bei Gerichts­ver­hand­lun­gen oder ande­ren Vor­stel­lun­gen mei­nes Buchs. Aber noch nie alles auf ein­mal«, erzähl­te sie mir, immer noch ver­är­gert. Sie denkt, dass die Leu­te Angst vor der demo­gra­fi­schen Ver­än­de­rung der USA haben. Vie­le befürch­te­ten, dass sich ihre Art zu leben nicht auf­recht­erhal­ten lasse.

Die Ängs­te der wei­ßen Mit­tel­klas­se sind real. Seit lan­gem ist der ame­ri­ka­ni­sche Traum aus­ge­träumt und das Auf­stiegs­ver­spre­chen gebro­chen. Es ist alles ande­re als aus­ge­macht, dass es ihren Kin­dern ein­mal bes­ser gehen wird. Aber statt die Wut gegen jene zu rich­ten, die dafür Ver­ant­wor­tung tra­gen, gegen Mil­li­ar­dä­re, deren Ver­mö­gen in der Pan­de­mie immer wei­ter gewach­sen sind, gegen Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker, die wei­ter die Steu­ern für die Rei­chen nied­rig hal­ten, aber den Min­dest­lohn nicht erhö­hen und die Stu­di­en­ge­büh­ren nicht strei­chen, rich­ten die Rech­ten in der Gesell­schaft die Wut gegen Minderheiten.

Die Ermor­dung des schwar­zen Geor­ge Floyd durch den wei­ßen Poli­zis­ten Derek Chau­vin führ­te zu einer bis heu­te anhal­ten­den mas­si­ven »Black Lives Matter«-Bewegung. Und nach der Tötung des 84-jäh­ri­gen Vicha Rat­ana­pakdee in San Fran­cis­co und von Mit­ar­bei­te­rin­nen eines Mas­sa­ge­sa­lons in Atlan­ta war auch die »Stop Asi­an Hate«-Bewegung gebo­ren. Qian Julie Wang sagt dazu: »Wir sind sind lau­ter gewor­den. Wir las­sen uns nicht mehr unterdrücken.«

Qian Julie Wang: Beau­ti­ful Coun­try. A Memoir of an Undo­cu­men­ted Child­hood. Pen­gu­in Books, 320 S., br.

Dieser Text ist zuerst hier erschienen: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1163991.rassismus-in-den-usa-das-trauma-einer-generation.html